Die Eltern von Detlef

  • Irmgard und Hans Rose


Irmgard (+) und Hans F. (+) Rose 1986 in Altena Westfalen



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Hans Fritz Rose



Hans Rose als Student 1927

geb. 10.5.1908
gest. 3.4.1994

Hans F. Rose
Lebenserinnerungen
Copyright by Detlef A. Rose – Version 1.2 - Stand 5. September 1998

Der Zeitabschnitt, in dem mein Leben verlaufen ist, war durch Ereignisse gekennzeichnet wie sie sich in keinem anderen Jahrhundert abgespielt haben. Die atemberaubende technische Entwicklung, zwei Weltkriege, kultureller Wandel, Naturkatastrophen, politische Veränderungen und so vieles andere muß sich der Leser vergegenwärtigen, um Handlungen und Entscheidungen zu verstehen.
Im Einzelnen darauf einzugehen, ist im Rahmen dieses Lebensberichtes nicht möglich.
Am 10. Mai 1908 - in der Zeit des wilhelminischen Kaiserreiches - wurde ich in Berlin-Charlottenburg als zweiter Sohn des damaligen Leutnants Carl Rose geboren und am 14. Juni in der "Königlichen Garnisonkirche" getauft. Namensgeber waren - wie seinerzeit noch allgemein üblich - zwei als Paten fungierende Geschwister meines Vaters: Hanna König geb. Rose und Fritz Rose. Die ersten fünf Lebensjahre verbrachte ich in Berlin-Wilmersdorf, in Wiesbaden und Ulm. Im Jahre 1913 siedelten die Eltern nach Danzig-Neufahrwasser über, wohin mein Vater als Hauptmann und Chef einer Küstenartillerie-Batterie versetzt worden war. Daß der Aufenthalt dort nur von kurzer Dauer sein würde, hatte gewiß niemand erwartet, vergingen doch nur wenige Monate bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges am 1. August 1914. Ich
kann mich noch gut an die Zeit in Neufahrwasser erinnern. Wir hatten in dem unmittelbar an der Weichselmündung gelegenen Ort eine geräumige Wohnung im 3. Stock eines neueren Wohnhauses in der Fischerstraße mit Balkon, Hof, Garten und Stallungen für "Boy", den schönen Fuchswallach unseres Vaters. (Er hat ihn durch den ganzen Krieg begleitet.) Es war für uns Jungens eine unbeschwerte Jugendzeit. Während Heinz schon das Gymnasium in Danzig-Langfurth besuchte, fing ich meinen Schulbesuch in der untersten Volksschulklasse der "Höheren Dittmann`schen Mädchenschule mit Knabenabteilung"(!) in Neufahrwasser an. Wir gingen zum Baden nach Brösen an der Danziger Bucht, setzten über sie Weichsel zur Westerplatte - sie sollte bei Beginn des zweiten Weltkrieges eine Rolle spielen - und machten Ausflüge nach Danzig und Oliva. Natürlich begeisterten wir uns für alles, was mit den Soldaten zu tun hatte. Heinz hielt es mit den "Schwarzen Husaren", den Leibhusaren des Kronprinzen Wilhelm, die in Langfuhr standen, ich dagegen mit den "Blauen Jungen", den Matrosen der Kriegsschiffe, die in Neufahrwasser fest machten. Und keine Parade ließen wir natürlich aus, bei der wir auf dem großen Exerzierplatz unseren Vater hoch zu Roß bewunderten. Unsere Mutter versuchte, allerdings mit mäßigem Erfolg, uns die ersten Tastversuche auf dem Klavier beizubringen. Die El-tern hatten durch die Garnison anregenden gesellschaftlichen Verkehr. Ich erinnere mich an den Besuch des Standortkommandeurs, des späteren Generalfeldmarschalls von Mackensen und seiner Frau, ein Konzert in der Marienkirche zu Danzig, in dem unsere Mutter als Violin-Solistin mitwirkte und dem auch die Kronprinzessin Caecilie beiwohnte. Das idyllische Leben fand mit dem Ausbruch des Krieges ein jähes Ende. Schon bald befürchtete man Luftangriffe auf Danzig und die Hafenanlagen, und tatsächlich erfolgte auch ein Angriff russischer Flugzeuge, und sogar eines Kriegsschiffes, das eine in der Danziger Bucht verankerte Schiffsattrappe beschoß: den als Kreuzer aufgemachten "Falschen Waldemar". Flüchtlinge aus Ostpreußen und erste Kriegsgefangene trafen in Neufahrwasser ein. Papa erhielt ein Kommando an der Ostfront. So hielt er es für zweckmäßig, die Familie aus Sicherheitsgründen nach Berlin zurückzuverlegen, und fand auch sofort eine geeignete Wohnung in Wilmersdorf, in der Güntzelstraße nahe dem Emser Platz.
Hier in Berlin verbrachten wir die Kriegsjahre bis zum Jahre 1918, und fühlten uns durchaus wohl, zumal mehrere Verwandte sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits in Wilmersdorf, Charlottenburg, Steglitz und Potsdam wohnten. Heinz und ich kamen nun beide auf das Bismarck-Gymnasium, dessen Leiter zufällig ein Onkel von uns, der Oberstudiendirektor Dr. Walther Bottermann, verheiratet mit Eleonore geb. Pickert (Tante Lollo), einer Cousine unserer Mutter war. Das war natürlich nur von Vorteil für uns. Die verwandtschaftliche Bezie-hung verhinderte zwar nicht, daß ich von einem meiner Lehrer eine nie vergessene schallende Ohrfeige einstecken mußte, ermöglichte uns aber mit den Vettern und Cousinen die ständige Benutzung des großen Schulhofes und seiner Sportanlagen zu jeder Zeit. Hier tummelten wir uns mit den Bottermann-Kindern Walther, Eckardt und Lollo, mit Nanny Wand, Eva Geißler und Rolf Hannasch, den Kindern von Tante Friedel v. Linsingen (früher Wand), Franz Geißler und Paul Hannasch (Vettern von Papa). In Berlin gab es natürlich viele zu sehen und zu erleben: die Museen, den "ZOO" mit dem Aquarium, die "Ura-nia", Zircus Sarasani und Schumann, den Tiergarten, Grunewald, Potsdam und Schloß "Sanssouci" und für mich die erste Opern-Aufführung "Martha". Das häufige Zusammensein mit den Verwandten, vor allem mit Tante Friedel und Nanny bei uns oder auf ihrem Besitz in Wannsee, dem schönen früheren Palais des Prinzen Leopold v. Preissen, ließ uns die immer schwerer werdenden Kriegszeiten leichter überstehen. Am schönsten war es natürlich, wenn Papa auf Urlaub nach Hause kam.
Hatten wir im Jahre 1913 noch die Rückkehr der Truppen von der letzten großen Kaiserparade auf dem Tempelhofer Feld in Berlin erlebt und begeistert dem Kaiser, dem Kronprinzenpaar, der Kürassier-Kapelle und den berittenen Garde du Corps in ihren prächtigen weiß-goldenen Uniformen zugejubelt, so hatte sich das Bild Ende 1918 drastisch geändert. Der Krieg war verloren, der Kaiser hatte abgedankt, die Republik war ausgerufen .... Von der Front in Ost und West zurückgekehrte Soldaten marschierten durch die Straßen, wurden in den Schulen einquartiert, sie boten keinen erhebenden Anblick. Es gab Demonstrationen und Zusammenstöße zwischen rechts- und linksgerichteten Organisationen, Einwohnerwehren zum Schutz der Bürger wurden spontan gebildet - auch unser Vater, von der Front heimgekehrt, hatte sich ihnen zur Verfügung gestellt - , und es gab Tag und Nacht Schießereien mit den Spartakisten. Für unsere Mutter war dies eine Zeit größter Sorge, da Papa oft auch nachts im Einsatz war, und wir Jungens auf dem Weg zur Schule Krawallen aus dem Wege gehen mußten. Dabei hatte ich den längeren Weg, da ich inzwischen auf das Joachim Friedrich-Realgymnasium in Schöneberg übergewechselt war, da Direktor Bottermann den naturwissenschaftlichen Zweig für mich als geeigneter empfohlen hatte. Ungern hatte ich mich von meinen sehr netten Klassenkameraden, darunter Jochen Stresemann, dem sympathischen Sohn des damaligen Reichsaußenministers Stresemann, getrennt. In der Klasse der neuen Schule wirkte es irritierend auf mich, daß etwa zwei Drittel meiner Mitschüler - etwa 20 von 30 - jüdischer Herkunft waren. Es wäre kaum zu verwundern gewesen, wenn ich damals - wir Christen bildeten eine geschlossene Minderheit - zum bewußten Antisemiten geworden wäre, aber unsere sehr vernünftigen und zur Toleranz mahnenden Lehrer haben das sicher verhütet. Im Übrigen verstanden wir in unserer Jugend kaum, um was es in jener Revolutionszeit gegangen war, warum wir nicht mehr Kaisers Geburtstag feierten oder "Heil Dir im Siegerkranz" sangen. Für uns war noch keine Welt zusammengebrochen. Wir waren wohl behütet in unseren deutschnational-konservativen Familie, die Schule war in Ordnung, und unser Fortzug von Berlin nach Melle i. Hannover war nur der aufregende Aufbruch in ein neues Abenteuer. Papa hatte seinen Abschied als Major erhalten, sich dann bemüht, so schnell als möglich mit der Familie aus Berlin fort zu kommen, aber auch unter der Voraussetzung, eine Tätigkeit zu finden, mit der er die Offizierspension aufbessern konnte. Die Pension allein hätte nicht ausgereicht, um die Existenz der vierköpfigen Familie zu sichern, zudem war er ja auch erst 40 Jahre alt. Mit der Aufstellung einer neuen Armee und einer Reaktivierung der ehemaligen Offiziere war auch nicht zu rechnen. Noch im Jahre 1918 ergab sich die Gelegenheit - mit Hilfe der Brüder Henny und Fritz meines Vaters, die im hannoversch-westfälischen Raum lebten, - ein Haus in Melle i. Hannover, unweit von Osnabrück und Bielefeld zu kaufen. Dieses Haus, ein Villengebäude im ortsüblichen Stil, sollte nun für fast zwei Jahrzehnte der Wohnsitz der Familie werden. "Gesmolder Straße Nr. 19" war solide gebaut, hatte ausreichend Wohnräume im Parterre und im ersten Stock, Balkon, einen größeren Garten und ein kleines Stallgebäude. Bald war alles eingerichtet, hatte Papa einen schönen Blumengarten mit Rosenstöcken angelegt, Obstbäume gepflanzt, Gemüsebeete angelegt, und war auch ein ansehnliches Hühnervolk vorhanden. Als geborenem Praktiker war es Papa gelungen, für die schwierigen Zeiten der Inflation und des Ernäh-rungsmangels die Familie mit Gemüse, Kartoffeln und sogar durch Haltung eigener Schweine Frischfleich, Wurst, Schinken und Speck zu beschaffen. Erfreu-licher Weise fand er auch bald eine Beschäftigung in der "Seifenfabrik der Gebrüder Sudfeld", und auch durch die "Clubgesellschaft Melle" gesellschaftlichen Anschluß. Während Heinz nun auf das "Ratsgymnasium" in Osnabrück kam, mußte ich auf das Realgymnasium in Bünde in Westfalen, so daß wir beide Fahrschüler in entgegengesetzte Richtungen wurden, jeweils eine halbe Stunde Bahnreise. Wir mußten schon um 6 Uhr aufstehen und eine Viertelstunde mit dem Fahrrad fahren, um die Züge am Bahnhof zu erreichen, und kamen auch erst am späten Nachmittag zurück, selten zur Mittagszeit. Der Rest des Tages war dann natürlich noch mit den Schulaufgaben besetzt. Trotzdem konnten wir unsere Freizeit recht genießen. Wir lernten Schwimmen, bekamen Fahrräder, mit denen wir bis an die Nordseeküste fuhren, spielten Tennis und wuchsen in einen großen Freundeskreis hinein. In den letzten Schuljahren durften wir im "Club" Tanzstunden besuchen und viele frohe Feste mitmachen. Damals wurde noch Menuett und Polka getanzt, als Höhepunkt der Bälle unter der Leitung von Justizrat Stegemann die Quadrikke mit allen Figuren "zelebriert". Auch wurde im "Club" Theater gespielt als besondere Attraktion des "Söhneken-Balles". Die großen Schützenfeste, eine alte niedersächsische Tradition, vereinte die gesamte Einwohnerschaft, ohne gesellschaftliche Trennung; sie waren immer große Er-eignisse im Leben der Stadt. Stolz waren wir, als unser Vater Schützenhaupt-mann und unsere Mutter sogar Schützenkönigin neben dem Schützenkönig, dem Bürgermeister Meyer zum Gottesberge wurde.
Ausflüge führten uns zu den Verwandten in Borgholzhausen (Onkel Henny Rose mit Familie), in Bielefeld (Onkel Fritz mit Familie), in Detmold (Großonkel Georg und Frau) und in Halle in Westfalen (Onkel Fritz Müsch mit Familie), zum Hermannsdenkmal, in den Teutoburger Wald und das Wienengebirge. Die nationale Tätigkeit unseres Vaters als Vorsitzender des Kriegervereins und als Führer des Meller Stahlhelms weckte natürlich auch das Interesse von uns Jungens, zumal wir dadurch interessante Persönlichkeiten der Kriegsgeschichte kennen lernten wie General v. Francois oder Fregattenkapitän Pochhammer. Dies veranlaßte uns schließlich, der Ortsgruppe Melle des "Jungdeutschen Ordens" beizutreten, einer deutschnationalen Organisation unter der Führung von Arthur Mahraun. Sie ging später in die SA über, wenn ich nicht irre. Sie galt im Wesentlichen der Erhaltung nationalen Gedankengutes und sportlicher Ertüchtigung durch Märsche.
Nachdem ich bereits in Berlin auf dem Klindworth-Scharwenk`schen Konserva-torium und noch privat Klavierstunden gehabt hatte, vervollständigte ich mein Spielen durch ständiges Begleiten Mamas oder im Spiel zu vier Händen. Musika-lische Abende gab es im "Club", aber auch regelmäßig zu Hause, wo Mama mit der Baronesse Hammerstein musizierte, deren Familie im nahe gelegenen Schloß Gesmold lebte. Außerdem gab Mama Violin-Konzerte in der Kirche, spielte als Solistin bei Violin-Orchester-Konzerten und im Quartett des Grafen Wesdehlen in Osnabrück. Das "Prisca-Quartett" gastierte zu Hause, war doch das Ehepaar Schulze-Prisca seit Mamas Studienzeit an der Musik-Hochschule in Köln, dem "Gürzenisch", Mama in Freundschaft verbunden. Mein Musik-Interesse wurde wohl entscheidend durch diese Zeit geweckt, wozu auch häufige Opern-Besuche im Osnabrücker Stadttheater kamen. Da der letzte Zug von Osnabrück nach Melle schon um 22 Uhr fuhr, bin ich dann sogar die 25 km bei Nacht mit dem Rad heimgefahren, wenn die Aufführung länger dauerte.
Heinz und ich machten dann im Jahre 1926 zugleich das Abitur, da Heinz es sich nicht hatte nehmen lassen, zwei Jahre zuzugeben, während ich, obgleich kein Musterschüler, noch im 17. Lebensjahr die Reifeprüfung bestanden hatte. Wir waren nicht gerade mit Begeisterung, aber auch nicht mit Unwillen zur Schule gegangen, zumal wir recht vernünftige Lehrer und nette Schulkameraden hatten. Wir trugen Schülermützen und machten sogar zum Schluß Kommerse mit. Sogar unser "Alter Herr" veranstaltete im Hause einen sehr feuchtfröhlichen Bierabend, an dem unsere Freunde teilnahmen sowie der allseits beliebte Onkel Fritz Rose, Papas jüngster Bruder aus Bielefeld. Bei Sonnenaufgang endete das Fest, wobei Onkel Fritz das "Wecken" blies. (Der Name "Trompeten-Onkel" ist ihm daher bis zu seinem allzu frühen Tod geblieben).
Einige "Schlaglichter" mögen noch die damalige Zeit beleuchten, die uns heute kaum noch vorstellbar erscheint. Nur wenige begüterte Familien besaßen ein Auto. In der Eisenbahn gab es vier Klassen, die unterste für "Reisende mit Traglasten", die auch wir als Fahrschüler nutzten. Ich kann mich nicht besinnen, jemals ein Flugzeug über der Stadt gesehen zu haben. Auch einen Telefo-nanschluß hatte noch fast niemand; wollte man telefonieren, ging man zur Post. Die ersten Radio-Sendungen empfing man mit Kopfhörern, wobei mehrere Personen an eine sogenannte "Spinne" angeschlossen waren. Dabei mußte dann natürlich absolute Ruhe herrschen, um etwas hören zu können. Auch elektrische Haushaltsgeräte hatten wir noch nicht, weder Waschmaschine noch Kühlschrank. Und für das "Bad am Samstagabend" wurde der Badeofen mit Brikettfeuerung in Betrieb gesetzt. Wer es sich leisten konnte, hatte eine Hausgehilfin, zumeist ein Mädchen vom Land, eine brave Bauerntochter, die auch mit im Haus wohnte. So hatten auch wir ein Dienstmädchen, das uns sehr viele Jahre treu geblieben ist.
Schwierig war das Leben natürlich in den zwanziger Jahren, in der Zeit der galoppierenden Inflation. Da kostete z.B. im Herbst 1923 1 Pfund Butter 3 Millionen RM, Ei 300 000 RM, 1 Pfund Gefrierfleisch 2 Millionen RM, 1 Kohlrabi 80 000 RM, 1 gelbe Rübe 20 000 RM, Blätter von Sellerie oder Lauch ohne Knollen 25 000 RM usw. Es war auch die Zeit des fortgesetzten Neudrucks von Notgeld, das Städte und Landkreise ausgaben. Oft war es dann so, daß das Geld, das wir am Morgen zum Einkaufen bekamen, am Abend schon nichts mehr wert war.
Mit dem Schulabschluß im Jahre 1926 begann nun ein neuer Lebensabschnitt: das Studium. Für Bruder Heinz gab es keine Probleme; er hatte sich entschlos-sen, Zahnmedizin zu studieren und nach Heidelberg zu gehen, um dort auch in das Corps Suevia einzutreten, dem schon der Großvater Heinrich Rose angehört hatte. Ich selbst war aufgrund eingereichter Arbeiten (Zeichnungen, Aquarelle) an der Staatlichen Kunstschule in Berlin angenommen worden, hätte dort aber nur die Qualifikation eines Zeichenlehrers für höhere Lehranstalten bekommen können. Um aber akademischer Maler zu werden, waren die Eltern damit einverstanden, daß ich nach München ging, um die dortige Akademie zu besuchen. Durch Vermittlung von Onkel Gottfried Schulz wurde ich durch den bekannten Professor Wackerle an der Mal- und Zeichenschule des Kunstmalers Ernst Widmann empfohlen, wo ich dann auch ein halbes Jahr studierte, um mich für die Aufnahme in die Akademie der bildenden Künste vorzubereiten. Ich erinnere mich, daß mir die erste Akt-Zeichenstunde im voll besetzten Atelier in der Theresienstraße einen leichten Schock einbrachte, da mit die Präsentation nackter männlicher und weiblicher Körper vor uns Malschülern natürlich neu war. Gleichzeitig an der Universität immatrikuliert, hörte ich Vorlesungen über Kunstgeschichte. Im besonderen Maße aber genoß ich die großartigen Aufführungen an der Münchner Oper, dem Nationaltheater, und erlebte viele der damals berühmten Dirigenten, Sänger und Sängerinnen - von Knappertsbusch bis Richard Strauß - und die Konzerte im Odeon und in der Tonhalle, die beide dem letzten Weltkrieg zum Opfer gefallen sind. Und mit dem Akademischen Alpenverein ging es in die Berge, in den Wilden Kaiser und auf die Zugspitze. Familiären Rückhalt boten mir in dieser Zeit die Familien Schulz in München und Boesen-hagen in Weilheim. Die allgemeine wirtschaftliche Situation und die offene Frage des Talentes ließen einen Wechsel in dem anzustrebenden Beruf jedoch geboten erscheinen. So entschloß ich mich, Jura zu studieren und ging nach Jena. Auf Empfehlung von Onkel Paul Boesenhagen, dem Bruder meiner Mutter, trat ich in das Corps Franconia ein, dem auch mein Onkel angehört hatte. Für die Eltern war es gewiß nicht leicht, in jenen schweren Zeiten gleich zwei Söhne studieren und noch in Corps aktiv werden zu lassen. Die dreisemestrige Aktivität erforderte finanzielle Opfer, wenn auch der "Lebensstil" beider Corps trotz einer gewissen "Feudalität" auf Bescheidenheit ausgerichtet war. Heinz und ich wurden begeisterte Corpsstudenten und fanden einen großen Kreis gleichgesinnter Freunde und vielerorts offene Häuser , so daß uns die Zugehörigkeit zu unseren Corps zeitlebens Freude gemacht hat. Das Corps Franconia (im Kösener Verband) war eine "schlagende" Korporation, so daß ich in Jena 13 Mensuren focht. Das Studium erlaubte in der damaligen Zeit den jungen Studenten noch den Genuß reichlicher Freizeit, so daß wir uns vollauf dem aktiven Leben widmen konnten, das uns durch das Corps vielerlei Annehmlichkeiten bot: gesellschaftliche Ver-anstaltungen aller Art und Ausflüge in die reizvolle Umgebung Jenas, nach Weimar, zu den Dornburger Schlössern, zur Rudelsburg und Saaleck, in den Thüringer Wald, bis nach Bad Steben, Vierzehnheiligen und Bamberg. Es war noch die Zeit des die alte Universitätsstadt kennzeichnenden Studententums, das in engem persönlichen Kontakt zur Professorenschaft stand, aber auch fest in das Bürgertum integriert war. In wenigen Jahren sollte dies vorbei sein.
Inaktiviert ging ich von Jena für zwei Semester nach Würzburg, wo ich auch noch in das Corps Rhenania eintrat, drei weitere Partieen focht und die heitere Atmosphäre der schönen Barockstadt genoß. Da gab es noch einmal eine fröhli-che, unbelastete Studentenzeit, vor allem auf dem schönsten deutschen Verbin-dungshaus, dem Anfang des 18. Jahrhunderts erbauten "Huttenschlößchen". Es folgten ein weiteres Semester an der Universität Göttingen - man konnte seiner-zeit problemlos die Hochschulen wechseln - und schließlich bis zum juristischen Staatsexamen die Universität Kiel. Im Januar 1933 - dem Monat der Machtübernahme durch die Nationalsozialistische Partei - wurde ich als Referendar in das Beamtenverhältnis übernommen und antragsgemäß an das Amtsgericht Melle in Hannover also an den heimatlichen Wohnort versetzt.
Ich hatte es mir mit Kiel nicht leicht gemacht , denn die Prüfungen dort galten als die zweitschwersten nach Berlin. Corpsbrüderliche Freunde hatten mich da-zu veranlaßt. Trotz der arbeitsmäßigen Belastung verlebten wir junge Studenten eine schöne Zeit, die ausgefüllt war von Wanderungen durch Schleswig-Holstein, von Dampfer- und Segelbootsfahrten, von Einladungen in den befreundeten Familien, vom Besuch der großen Bälle des Kaiserlichen Yacht-Clubs, von Kon-zertbesuchen und mit eigenem Musizieren. In Kiel fand meine Begeisterung für die Marine natürlich neuen Auftrieb, besonders durch eine Einladung des Kom-mandanten des Linienschiffs "Schleswig-Holstein", Kapitän zur See Götting, zur Teilnahme an einem Übungsschießen in der Ostsee. In Kiel lernte ich auch zwei Deutsch-Chilenen kennen, Dr. med. Roman Wygnanki und Gerd von Plate, Neffen des Münchner Kartellcorpsbruders Professor Dr. Otto Aichel, von denen der erstgenannte später Pate unseres Sohnes Detlef werden sollte.
In diese Zeit fiel, wie schon angedeutet, die "Nationalsozialistische Erhebung", die auch uns junge Studenten in ihren Bann gezogen hatte. Wir hatten die Ent-wicklung der politischen Verhältnisse natürlich mit Sorge beobachtet, waren be-unruhigt von den sich immer mehr zuspitzenden politischen Auseinanderset-zungen, den blutigen Zusammenstößen zwischen rechts- und linksstehenden Organisationen, der Ohnmacht des Staates und dem unaufhaltsamen kulturel-len Verfall. Dazu kamen die schwerwiegenden Folgen des "Versailler Vertrages", den man als schmachvolles Diktat der Siegermächte des ersten Weltkrieges betrachtete. Was Wunder, daß die neue Partei mit ihrer nationalen und sozialen Zielsetzung auch von uns als Befreierin betrachtet wurde?
Der enorme Zulauf, den die neue Partei aus allen Schichten der Bevölkerung fand, die vielen prominenten Persönlichkeiten aus den Kreisen der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kunst, Politiker und Militärs der alten Armee, des Adels, des Kaiserhauses, die ihre Sympathie mit der "Bewegung" Adolf Hitlers bekunde-ten - mußten wir ihnen nicht nacheifern? Und der Reichspräsident, Generalfeldmarschall von Hindenburg, berief den "Führer" in das Amt des Reichskanzlers - der großartige Staatsakt in der Potsdamer Garnisonkirche - mußten diese Ereignisse nicht überzeugen, mitreißen? Selbstverständlich waren wir Studenten fasziniert von dem Auftreten Hitlers bei den großen Kundgebungen, die wir miterlebten. Hitlers charismatischem Wirken ist auch manch einer seiner Gegner erlegen, wie diese später selbst bekundeten. Kurz und gut, ich trat der Partei und auch dem NS-Studentenbund in Kiel bei. Unerfreuliche Vorfälle, die sich in dieser Zeit ereigneten, und die es nicht nur auf dem "linken" politischen Spekt-rum gab, betrachteten wir als bedauerliche Begleiterscheinungen des politischen Kampfes, glaubten jedoch nicht, sie der nationalsozialistischen Idee als solcher anlasten zu müssen. Ich erinnere mich an die Ermordung des Vaters eines jüdischen Kommilitonen, der mit mir und zwei Corpsbrüdern privatim von dem Kie-ler Assessor v. Starck auf das Referendarexamen vorbereitet wurde. Unsere Auffassung von Nationalsozialismus konnten wir auch durchaus noch in Einklang mit der Tätigkeit der zahlreichen international bekannten juristischen Professoren bringen, die damals an der Kieler Universität lehrten wie z.B. Husserl, Kantorowicz, Oppenheimer - jüdischen Professoren von internationalem Ruf. So zog auch ich die Hakenkreuzfahne auf, wenn mir auch das alte Schwarz-Weiß-Rot lieber gewesen wäre ....
Ich ließ mich nun an das Amtsgericht Melle versetzen, um dort die praktische Ausbildung als Gerichtsreferendar zu beginnen. Dort war der mit uns befreundete Amtsgerichtsrat Bodenheim in den Ruhestand getreten und Amtsgerichtsrat Dr. Avenarius zum Leiter des Gerichts berufen. Avenarius war ein ebenso guter wie humorvoller "Referendar-Vater", der manch einer vormittäglichen Sitzung einen Frühschoppen im benachbarten Gasthaus folgen ließ. Mit meiner Kollegin Veronica von Loewenfeld, Tochter eines bekannten Freicorpsführers, teilte ich die für uns vorgesehenen Amtsgeschäfte bei den Sitzungen, ohne Talar, begleitete ich den Gerichtsvollzieher auf seinen unangenehmen "Geschäftsreisen", nahm ich an der Aufnahme von bäuerlichen Nottestamenten u.v.a. teil.
Und als ich zum ersten Mal in Vertretung des Amtsrichters einen sogenannten "Delinquenten" gerichtlich verwarnen mußte, war dies ausgerechnet ein Herr Rose. Wie’s so geht.
Als jüngeres Parteimitglied sah ich mich in dieser Zeit veranlaßt, der in Melle neue entstandenen SA-Gruppe beizutreten, zumal auch mein Chef sich einer parteipolitischen Betätigung nicht entzog. Dabei ergab sich die kuriose Situation, daß ich aufgrund früheren Parteieintritts und mangels einer anderen geeigneten "Persönlichkeit" zum SA-Scharführer ernannt und damit Vorgesetzter des "einfachen" SA-Mannes Dr. Avenarius wurde. Was wir bei unserem "Dienst" taten, war wohl mehr als harmlos. Wir versuchten, das Parteiprogramm zu interpretieren, saßen abends im kameradschaftlichen Kreis, ein Glas Bier trinkend, zusammen, trieben etwas Wehrsport in Form von kleinen Märschen u.ä.. Mit einigen anderen Kameraden schickte man mich zum ersten Großen Parteitag nach Nürnberg, von dem ich natürlich vollauf begeistert zurückkehrte und dann in der überfüllten Meller Stadthalle meine Eindrücke wiedergeben mußte. Das war also mein erstes "öffentliches Auftreten mit freier Sprache"; klar, daß ich Lampenfieber hatte und vorher zuhause vor dem Spiegel geprobt hatte. Ich muß zugeben, daß meine Zugehörigkeit zu dem kleinen Meller SA-Trupp mir erstma-lig die wertvolle Gelegenheit bot, mit "Menschen aus dem Volk" in näheren Kontakt zu kommen, was mir bisher durch den typischen "klassischen" Werdegang eines jungen Mannes "aus gutem Haus", noch dazu Corpstudenten, vorenthalten geblieben war. Ich verstand mich gut mit den jungen und auch älteren Hand-werkern und Arbeitern, was mir nicht zuletzt beim Militär und auch später im Beruf zugute kommen sollte.
Den Monaten am Amtsgericht folgte eine weniger angenehme Tätigkeit am Landgericht Osnabrück, die sich fast völlig ohne Parteienverkehr abspielte und mir vor allem die höchst langweilige Ausarbeitung von Kostenfestsetzungsbeschlüssen u.ä. trockene Aufgaben auferlegte.
Hatte mir schon das Studium keinerlei Befriedigung gebracht, so erschien es mir jetzt doch noch geboten, einen Berufswechsel anzustreben, wobei ich mir aller-dings über das Ziel nicht im Klaren war. Die Aussichten waren damals, insbe-sondere im musischen Bereich, der mir am nächsten gelegen hätte, völlig aussichtslos. Da kam mir der Zufall zu Hilfe.
In dieser Zeit heiratete mein Bruder Heinz, und ich fuhr mit en Eltern zur Hochzeit nach Kreuth in Oberbayern. Auf der Rückreise besuchte ich meinen Stu-dienfreund Dr. Eberhard de Barde, der in München Justitiar im Verlag der "Münchner Neuesten Nachrichten", der angesehensten Zeitung im süddeutschen Raum, war. Seiner Empfehlung entsprechend bewarb ich mich zur Ausbildung als Redakteur - damals nannte man dies "Schriftleiter" - und wurde auch akzep-tiert. Damit begann nun meine eigentliche berufliche Laufbahn, die mich - von wenigen Monaten abgesehen - für immer in Bayern festhalten sollte. Die redak-tionelle Ausbildung war vielseitig und überaus interessant. Ich wurde in die Technik des Zeitungsdruckes eingeführt, arbeitete in den verschiedenen Sparten wie Lokales, Innenpolitik, Feuilleton, Sport, "Reise und Erholung", und wurde auch mit eigenen Reportagen betraut. Etliche feuillitonistische Arbeiten wurden von mir in den "MNN" und auch in den anderen Verlags-Publikationen gebracht. Die Zeitung hatte bedeutende Persönlichkeiten als Mitarbeiter wie z.B. die Schriftsteller Josef Magnus Wehner, Konrad Weiß, Eugen Roth, die Komponisten und Musikschriftsteller Dr. Oscar von Pander und Anton Würz oder den Nietzsche-Forscher Dr. Arthur Hübscher. Das Ressort "Politik" leitete Dr. Giselher Wirsing. Wir waren drei Volontäre und hatten in einer jungen Comtesse Podewils eine reizende Kollegin. An die Arbeitszeit von 13 Uhr bis 22 Uhr und oft auch bis nach Mitternacht mußte ich mich natürlich erst gewöhnen. Wie es die Tageser-eignisse mit sich brachten, mußte ich bis zum Ende des "Umbruchs" in der Set-zerei bleiben, weshalb man sich mit erheblichem Kaffeekonsum wachhalten mußte. Dabei lernte man konzentriertes und schnelles Arbeiten, wenn es Manuskripte eiligen Charakters zu redigieren und oft noch in letzter Minute zu kürzen galt. Es war in diesem Jahr - 1934 - auch mein erstes Interview, als ich die bekannte Fliegerin Elly Beinhorn bei Ankunft von ihrer Alpenüberquerung in Oberwiesenfeld, auf dem damaligen Münchner Flugplatz, für die Zeitung begrüßen durfte. Mit einer kleinen einmotorigen Maschine hatte sie im Alleinflug die Alpen von Süden nach Norden überquert. Ein damals spektakuläres Ereignis! Geradezu peinlich betroffen war ich, als ich bei der schweren Erkrankung des Reichspräsidenten von Hindenburg schon Tage vor seinem Ableben die fertige Titelseite mit Bild, Nachruf und Lebenslauf in der Setzerei liegen sah, die nur auf Abruf bei erfolgtem Tode wartete. Daß die Aktualität einer Tageszeitung eine derartige "Vorsorge" verlangte, war mir noch nicht bewußt geworden.
Es war aber auch ein politisch sehr unruhiges, um nicht zu sagen aufregendes Jahr. Hitler war nun "Führer und Reichskanzler". Er hatte den Anschlag im Bürgerbräu-Keller in München überlebt. Nun ereignete sich der "Röhm-Putsch", der sich in wesentlichen Teilen in München und Oberbayern abspielte und zur Erschießung prominenter Nationalsozialisten führte.



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Dabei hatte sich in der Redaktion der "Münchner Neuesten Nachrichten" ein schrecklicher Vorfall ereignet: ein Feuilleton-Mitarbeiter aus dem Bereich Mu-sikkritik war verhaftet und erschossen worden. Wie sich unmittelbar danach herausstellte, hatte es sich um eine Namensverwechslung gehandelt. das vor-schnelle Handeln der Gestapo (Geheime Staats-Polizei) war schuld an dem so folgenschweren Irrtum gewesen, dem ein völlig unbelasteter und integerer Mann zum Opfer gefallen war. Er hatte das Unglück gehabt, Schmid zu heißen. Ob-schon ich selbst von der Meller SA zur SA-Leibstandarte in München überwiesen worden war, hatte ich mich von jeder Dienstleistung freistellen lassen können, da meine berufliche Tätigkeit mir dazu keine Möglichkeit ließ. So war ich mehr interessierter Beobachter des politischen Geschehens als aktiver Mitarbeiter in der Partei. Nicht unkritisch gegenüber die Bewegung tragenden Persönlichkeiten und politischen Maßnahmen, bejahte ich Hitler als "Führer und Reichskanzler" und zwar im Vertrauen auf eine Konsolidierung der Bewegung und Ausschal-tung untragbarer (nach unserer Ansicht) Elemente aus der Parteiführung. Ich war zu dieser Zeit auch befreundet mit dem außenpolitischen Mitarbeiter der "MNN", Dr. Fritz Jaffe, einem sehr national denkenden und mit dem EK I.Klasse ausgezeichneten, aus einer jüdischen Familie stammenden Hauptmann a.D. Ich hatte keine Bedenken, diese Verbindung aufrecht zu halten und hoffte, ihm spä-ter in kritischen Situationen durch ein positives Leumundszeugnis zur Emigrati-on mit verholfen haben zu können.
Die "Münchner Neueste Nachrichten" gerieten aber bald immer stärker in das Kreuzfeuer der NSDAP und wurden systematisch durch den im Franz-Eher-Verlag (Parteiverlag) erscheinenden "Völkischen Beobachter" ausgeschaltet. So-mit sah sich auch die Verlagsleitung der "MNN" außerstande, uns Volontäre nach Beendigung der Ausbildungszeit in ein Redakteur-Verhältnis zu überneh-men, sprach also unsere endgültige Entlassung aus mit der Empfehlung, uns eine geeignetere Position zu suchen. Unter den bestehenden Verhältnissen war dies natürlich nicht leicht, gelang mir jedoch bald, wobei mit der elterliche Wohnsitz und natürlich auch die Mitgliedschaft in der Partei zugute kamen.
Um in einem Zeitungsverlag in Bayern eine Anstellung als Redakteur zu erhal-ten, spielten Herkunft, Konfession und natürlich auch die Zugehörigkeit zur NSDAP eine nicht unbedeutende Rolle. Hier hätte für mich nur die Möglichkeit bestanden, im "Völkischen Beobachter" anzukommen oder in die Redaktion ei-ner Landzeitung einzutreten. Geschickter Weise hatte der Eher-Verlag aber in-zwischen nahezu sämtliche Heimatblätter in Oberbayern mehr oder weniger un-ter Druck gesetzt und zur Eingliederung in den "Bayerischen Zeitungsblock" mit dem Sitz in München gezwungen. Als Berufsanfänger kam für mich nur eine Re-daktion der Landzeitungen in Frage. Auf meine Bewerbung wurde mit von der Hauptschriftleitung (Chefredaktion) angeboten, nach Tegernsee zu gehen, dort eine Redaktion für den Lokalen Bereich einzurichten und den seit fast 100 Jah-ren bestehenden alten "Seegeist" zu einer modernen Lokalausgabe des "Bayeri-schen Zeitungsblocks" zu machen. Meine Wahlheimat Kreuth, wo die Eltern lebten und auch Heinz familiäre Bindungen zur Familie May besaß, Studium und journalistische Ausbildung mit Eintragung als Schriftleiter in der Presse-Rolle, und sicher auch meine Parteizugehörigkeit hatten meiner Bewerbung zum Erfolg verholfen. Wahrscheinlich hätte ich ohne letztere in der damaligen Zeit über-haupt keine Anstellung gefunden. Es war früher so, ist heute wieder so und wird leider wohl nie anders werden, als daß es zu gegebener Zeit und bei gegebenem Anlaß gut ist, das "richtige Parteibuch" in der Tasche zu haben.
Ich ging also nach Tegernsee und mußte feststellen, daß der sich bisher allein um die Redaktion der Tegernseer Zeitung kümmernde Verleger und Buchdru-ckereibesitzer Adalbert Boemmel - in der dritten Generation - dem ihm von München zugewiesenen neuen Mann, noch dazu einem Preußen und Parteige-nossen, mit erheblicher Reserve gegenüber stand. Das war ihm als königstreuem Altbayern und überzeugtem Gegner des Nationalsozialismus auch durchaus nicht zu verdenken. Da ich mit meiner konservativen Grundgesinnung und selbstverständlichen Toleranz bald sein Vertrauen erwarb, entwickelte sich nicht nur eine gedeihliche Zusammenarbeit mit ihm als Mitverleger, sondern sogar im Laufe der Zeit ein enges freundschaftliches Verhältnis zur ganzen Familie Boemmel, das über seinen Tod hinaus von Bestand geblieben ist. Ich nahm Rücksicht auf die politische Indifferenz des Verlegers und steuerte einen gemä-ßigten Kurs in der Redaktionsleitung, was mir die Anerkennung der sehr unterschiedlichen Leserschaft im Tegernseer Tal einbrachte, aber auch von der Chefredaktion toleriert wurde. Herr Boemmel hat es mir später durch sein Ein-treten für mich im Entnazifizierungsverfahren gedankt.
Hier in Tegernsee begann also meine journalistische Laufbahn. Rückblickend muß ich sagen, daß ich mir keine leichte Aufgabe gestellt hatte, und daß ich auch kaum daran gedacht hatte, daß man das Lebens- und Arbeitsjahr des Journalisten gut und gern mit zwei Jahren eines normalen Menschen gleich setzte. Das mag übertrieben sein, hatte insofern seine Berechtigung als dieser Beruf eine ständige Bereitschaft, auch an Sonn- und Feiertagen, und ein rasches Auffassungs- und Umsetzungsvermögen in die "Nachricht" oder den "Be-richt" erforderte. Was morgen nicht in der Zeitung stand, war übermorgen für den Papierkorb, also umsonst geschrieben bzw. telefoniert, - so etwa war die De-vise. Mit kaum einer praktischen Erfahrung und ohne vorher in eigener redakti-oneller Verantwortung gearbeitet zu haben, stieg ich also ein und mußte mich in kürzester Zeit "freischwimmen". Und ich hatte Glück. Ich kam offensichtlich in der vielschichtigen Leserschaft des Tegernseer Tales und darüber hinaus mit meiner Berichterstattung an; ich bereicherte meine Texte mit vielen selbstge-machten Photos; ich hatte auch bald einen ausreichenden Mitarbeiterkreis in allen Orten und für alle Sachgebiete, und - wir waren stets aktuell.
Wenn sich auch die Arbeit der Tegernseer Redaktion auf das Gebiet der Lokalbe-richterstattung beschränkte - Außen- und Innenpolitik, Handel und Wirtschaft, Feuilleton und Sport waren der in München residierenden Hauptschriftleitung und Druckerei vorbehalten -, war doch mein Arbeitsbereich durch die Bevölke-rungsstruktur im Tegernseer Tal weit gefächert. Dadurch war es mir auch mög-lich, meinen speziellen Interessen im Bereich der Kunst und Kultur nachzuge-hen, was zu vielen Begegnungen mit bekannten Persönlichkeiten führte. Auch lernte ich manch einen Angehörigen der Parteiprominenz kennen, von der sich ja eine ganze Reihe am schönen Tegernsee niedergelassen hatten. Als Parteimit-glied hatte ich eher Möglichkeiten, Kontakte aufzunehmen, wovon ich gelegentlich im Interesse der Zeitung Gebrauch machte.
Inzwischen von München zum kleinen SA-Trupp Kreuth überwiesen, wo man sich dann zu gelegentlichen Bierabenden mit den ohnedies dem Ski-Club Kreuth angehörenden jungen und älteren Männern traf, ließ ich mich jedoch bald zur Hitler-Jugend (HJ) überweisen. Man ernannte mich zum HJ-Gefolgschaftsführer, gliederte mich in die Leitung des Bannes Oberland ein und übertrug mir die Verbindung zur Presse d.h. zu den Lokalzeitungen, zu "VB" und "MNN", zur Deutschen Presseagentur usw. Im Tegernseer Tal gab es einige "HJ-Fähnlein", denen durchweg ordentliche Jungen, in der Mehrzahl aus den Schulen angehör-ten. Es wurde Sport getrieben, vor allem Ski-Sport, und von den Jungen der "Marine-HJ" Rudersport auf dem Tegernsee.
Ich kann mich keines irgendwie negativen Vorfalles erinnern, wie er sich an-derswo in politischer oder moralischer Hinsicht ereignet haben mag. Das Jahr 1936 - ich hatte u.a. Gelegenheit die Olympischen Spiele in Garmisch-Partenkirchen und Berlin zu besuchen - brachte dem Tegernseer Tal großen sportlichen Auftrieb, ja sogar auch dem kleinen Dorf Kreuth. Es erlebte den Bau seiner ersten Sprungschanze durch den Ski-Club-Kreuth, dem auch ich als zweiter Vorsitzender angehörte. Es gab die ersten "Deutschen Ski-Meisterschaften am Wallberg" (1937), den Bau der Achensee-Straße und vieles andere von überörtlicher Bedeutung, von dem zu berichten war. Wenn ich auch gerne als Redakteur der "Tegernseer Zeitung" tätig war, angenehm im Ort wohn-te, einen großen Bekanntenkreis, zudem die Eltern und Bruder Heinz in der Nä-he hatte, so muß ich doch in anbetracht des unzulänglichen Gehaltes einen Wechsel der Stellung ins Auge fassen; zumal auch innerhalb des Verlages des "Bayerischen Zeitungsblockes" in München keine Aufstiegsmöglichkeit bestand.
Im Mai 1938 erhielt ich unerwartet das Angebot, in den Staatsdienst = Reichs-dienst einzutreten und zwar in die Dienste des "Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda". Der Pressereferent des "Reichspropagan-daamtes München-Oberbayern", der Landesstelle des Ministeriums, Dr. Max Werner, ein ehemaliger Berufsoffizier, Major a.D., hatte sich entschlossen, sei-nen Dienst zu quittieren und sich reaktivieren zu lassen. Dies wurde ihm ge-nehmigt unter der Voraussetzung der Benennung eines geeigneten Nachfolgers. (Den wahren Grund seines Ausscheidens sollte ich erst später erfahren). Die Ü-bernahme in das Beamtenverhältnis, die große finanzielle Verbesserung, ange-nehmere Arbeitsbedingungen und Altersversorgung machten mir den Entschluß leicht, das Angebot anzunehmen.
Als neuer Referent wurde ich in München durch den Reichspressechef der NSDAP Dr. Dietrich im Hotel "Vier Jahreszeiten" bzw. im "Törring-Palais" der bayerischen Presse vorgestellt, denn - was mit neu war - maßgeblich war für diesen Vorgang die Partei, die NSDAP, und nicht mein neuer oberster Vorgesetz-ter, der Reichsminister Dr. Goebbels. Die Partei hatte überall eine Kontrollfunk-tion, also auch über die Reichsministerien als staatliche Organe. Und für den "Gau München-Oberbayern" war im Pressebereich der stellvertretende Gauleiter Otto Nippold zuständig, ein im Gegensatz zum Gauleiter Wagner der NSDAP moderater Mann. Da ich nie parteipolitische Ambitionen gehabt hatte, mußte wohl der mit gut bekannt gewesene Pressereferent der HJ-Gebietsführung "hö-heren Orts" auf mich aufmerksam gemacht haben.
Hätte ich geahnt, in was ich mich eingelassen hatte, würde ich die Stelle be-stimmt nicht angenommen haben. Es ließ sich zunächst nicht schlecht an, son-dern gefiel mit auch gut, da ich eine ansehnliche Position inne zu haben schien, Die Versorgung der in meinen Bereich fallenden Presseorgane mit wichtigen In-formationen vollzog sich mühelos, die Zusammenarbeit mit den Tageszeitungen, Zeitschriften, Organisationen usw. war problemlos und von regimefeindlichen Aktivitäten war nichts zu merken. Mir ausgesprochen sympathisch waren die häufigen Aufträge, sich im Bereich München-Oberbayern aufhaltende wichtige Persönlichkeiten, darunter zahlreiche ausländische Gäste der Reichsregierung zu betreuen. So hatte ich, dank meiner leidlichen englischen, französischen und italienischen Sprachkenntnisse, manche interessante Persönlichkeit kennen ge-lernt, die ich führen durfte. Da fuhren wir dann im eleganten BMW-Dienstwagen mit Fahrer, nicht etwa in meinem eigenen kleinen offenen Zweisitzer einer aus-gedienten Bauart. Bei der Mutter meines Freundes, Frau M. de Barde, war ich in der Mauerkircher Straße bestens aufgehoben und hatte engen familiären Kon-takt.
Es waren nun aber die kritischen Jahre 1938 und 1939, die dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges vorausgingen. Dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich mit dem von der Bevölkerung stürmisch begrüßten und gefeierten Ein-marsch der deutschen Soldaten, dem triumphalen Empfang Hitlers in Wien war die "Befreiung" des Sudetenlandes gefolgt. Ich hatte bei letzterer den speziellen Auftrag vom Propagandaministerium erhalten, die "Gleichschaltung" der Presse in Böhmen auf einen deutsch-nationalsozialistischen Kurs sicherzustellen und einen Stimmungsbericht über die Haltung der Bevölkerung an das Ministerium zu geben. Ich schloß mich dem in Oberplan stationierten Stab des Militärbe-fehlshabers an und bereiste "in eigener Regie" das Land von Winterberg-Berg Reichenstein bis Böhmisch Krumau und zwar nicht etwa in der Uniform eines Gaustellenleiters, zu dem man mich in München "nominell" ernannt hatte, son-dern als HJ-Gefolgschaftsführer und noch dazu in meinem eigenen kleinen BMW. Die erlebte Sympathie der urdeutschen Einwohner in der prachtvollen Landschaft des Böhmer Waldes war beeindruckend; ich brachte u.a. auch mit einem Kollegen aus Bayreuth die erste Ausgabe einer eigenen "Prachatitzer Zei-tung" heraus, was zu einer kleinen Sensation in der deutsch-böhmischen Stadt wurde. Die neue Zeitung wurde in Bayreuth gedruckt, wir lieferten Berichte, Photos, Bekanntmachungen an die Bevölkerung im Lokalteil. Bei seinem ersten Besuch in Krumma konnte ich Adolf Hitler aus nächster Nähe fotografieren, - mein einziges Originalphoto vom "Führer". Der Besetzung des Sudetenlandes war die Münchner Konferenz vom 29.09.1938 vorausgegangen, die ich als Pres-sereferent des Propagandaministeriums für München und Oberbayern mit ihrem spannenden Verlauf miterlebte.
Ich war nämlich zur Information der Presse über Ablauf und Ergebnis der Ver-handlungen zwischen Chamberlain, Daladier, Mussolini und Hitler ins Hotel "Regina" abgestellt, wo Chamberlain, Daladier und die beiden Vertreter der tschechischen Regierung logierten. Ich habe nicht vergessen, wie Chamberlain nach Abschluß des "Münchner Abkommens" auf den Balkon des Hotels trat, mit seinem Regenschirm winkte und ausrief: "We have peace!" Die Menschenmenge brach in Jubel aus, und dieser Jubel begleitete alle vier Staatsmänner, wo im-mer sie durch die Straßen der Stadt fuhren. Die Ernüchterung ließ jedoch nicht lange auf sich warten.
Die Ereignisse überschlugen sich, und schließlich kam mit dem 1.9.1939 der Ausbruch des zweiten Weltkrieges. Während meine Altersgenossen einberufen wurden, erklärte das Ministerium mich für "unabkömmlich" (u.k.), und ich muß-te auf meinem Posten in der Münchner Prannerstraße, im früheren Bayerischen Landtagsgebäude verbleiben.
Da meine Arbeit als Vertreter des staatlichen Sektors durch die immer massivere Einmischung der Parteifunktionäre im Gau-Presseamt des ziemlich autokratisch in Bayern "herrschenden" Gauleiters der NSDAP Adolf Wagner unerträglich be-hindert wurde, bat ich meinen dienstlich obersten Chef, den Ministerialdirigen-ten Dr. Hanns Fritsche-Berlin um meine Versetzung oder Freistellung. Man ent-sprach meinem Wunsch und ordnete mich in gleicher Funktion an das Reichspropagandaamt Koblenz-Trier ab. Ich siedelte also dorthin über wo ich allerdings "vom Regen in die Traufe" kam. Der dortige Gauleiter der NSDAP Si-mon, der sich vom Ministerium übergangen gefühlt hatte, lehnte mich als Pres-severtreter des Reichspropagandaamtes ab, und ich versuchte hieraus nun mei-nerseits die Konsequenzen zu ziehen und aus dem Dienst des Reichspropagan-daministeriums ganz auszuscheiden. Ich erledigte das Nötigste, wobei ich Tag für Tag von meinem Arbeitszimmer aus die Militärtransporte der Eisenbahn nach Westen rollen sah. Schließlich war es soweit. Der mit mir befreundete Hee-res-Verbindungsoffizier Hauptmann Gaertner empfahl mir, mich beim Kreis-wehrersatzamt Koblenz als kriegsfreiwilliger Reserveoffiziers-Anwärter für die Marine-Laufbahn zu melden. Mir war nicht bekannt gewesen, daß die Kriegsma-rine eine außergewöhnliche Vorrangstellung, sogar gegenüber der Partei, besaß, was auch für mich und für meinen weiteren Lebensweg von entscheidender Be-deutung werden sollte. Das Ministerium akzeptierte meine fristlose Kündi-gung(aus privaten Gründen), - ein für die damaligen Verhältnisse absolut unge-wöhnlicher Vorgang -, so daß auch meine UK-Stellung hinfällig geworden war. Bei einer letzten Pressekonferenz mit den von mir betreuten Zeitungen und Zeit-schriften verabschiedete ich mich von Koblenz, wobei mir (zu meiner Genug-tuung) für die in der kurzen Zeit meines Wirkens entstandene vertrauensvolle Zusammenarbeit, insbesondere auch mit der kirchlichen Presse gedankt wurde. Ich hatte in dieser Zeit die Existenzsorgen kennen gelernt, die den "bürgerlichen" und "kirchlichen" Zeitungen und Zeitschriften durch die unfairen Konkurrenz-methoden der Partei-Zeitungen, vor allem des "Völkischen Beobachters", drohten. Mit meiner korrekten und toleranten Haltung stand ich auf verlorenem Pos-ten, obschon ich Parteimitglied war und auch keine Veranlassung sah, mich von der Bewegung zu trennen. Außerdem hatte ich, auch in Koblenz der Gebietsfüh-rung der Hitler-Jugend beigeordnet, von dieser positive Eindrücke gehabt. Da-mals hatte ich auch schon die Bekanntschaft mit Ursel Lindner gemacht, die uns später zur guten Freundin werden sollte. Sie war Landjahr-Bezirksführerin und Irmgards Vorgesetzte gewesen, was ich noch nicht gewußt hatte.
Im Januar 1940 verließ ich Koblenz endgültig und zog mich nach einem kurzen Zwischenspiel beim "Bayerischen Zeitungsblock" in Bad Aibling nach Kreuth zu-rück, um im elterlichen Haus als freier Schriftsteller das Ergebnis meiner Mel-dung zum Militärdienst abzuwarten. Ich war nun ein freier Mann, aus dem so unerfreulich gewordenen, zwiespältigen Staats- und Parteibetrieb heraus, war zwar ohne Einkommen, aber befreit von der Sorge, irgendwann doch einmal in einen Gewissens-Notstand zu geraten. Zugegebener Maßen war ich weder eine Kämpfer- noch eine Märtyrernatur, um allen Eventualitäten trotzen zu können. Nicht jeder wird dazu geboren.
Im Frühjahr 1940 bekam ich eine Vorladung zum Kreiswehrersatzamt Rosen-heim, wo man mich als kriegstauglich befand und mir einen Gestellungsbefehl zu einer Gebirgsjägereinheit ausfertigte, wozu meine Ansässigkeit in Kreuth, also Alpenraum, Anlaß gegeben hatte. Kurz danach kam ein erneuter Gestellungsbe-fehl, diesmal mit der Einberufung zur 2. Ersatz-Marineartillerie-Abteilung in Wil-helmshaven. Nun war es also soweit. Mit dem Betreten des Kasernentores des alten ruhmreichen "Seebataillons" in der Wilhelmshavener Gökerstraße ging zugleich ein alter Jugendwunsch in Erfüllung. Zwei Posten hatte ich allerdings nicht in Rechnung gestellt: als Reserveoffiziersanwärter konnte ich nicht in die seemännische Laufbahn, also auch nicht "an Bord" kommen, und, nicht mehr im Berufsverhältnis des Beamten stehend, war ich auf meinen bescheidenen Wehrsold angewiesen. Erwies sich letzteres als ausgesprochen nachteilig bei meiner finanziellen Lage nach dem Kriege, so hat mir ersteres doch eine sehr viel größere Überlebenschance gebracht. Ich fühlte mich aber in meiner neuen mili-tärischen Laufbahn ausgesprochen wohl und am richtigen Platz, und dazu "ge-borgen" vor politischen und Partei-Querelen. Die Dienstzeit begann mit der nor-malen , allerdings kriegsbedingt verkürzten Rekrutenausbildung, bei der ich in unserer Gruppe mit meinen 32 Jahren einer der Ältesten war. Die jungen Bur-schen erwiesen sich ebenso wie die älteren Männer als gute Kameraden, die Un-teroffiziere - Maate, Obermaate, Feldwebel, Bootsmänner - als ordentliche Vorge-setzte - die höheren Chargen als fürsorgliche Offiziere. Die Kriegsmarine wurde in jeder Hinsicht ihrem guten Ruf gerecht. Nach vierwöchiger straffer Ausbildung kamen wir bereits zu unseren Einsatzkommandos auf den ostfriesischen Inseln zur Spezialunterweisung in den Batterien der schweren und leichten Küstenar-tillerie, an den Geschützen, in den Leitständen, in den Nachrichtenanlagen. Und es mußte schnell gehen, uns zu einsatzfähigen Soldaten zu machen, da der Feind bereits in Tag- und Nachtangriffen der Luftwaffe die Inseln, die Küsten und vor allem die Hafenstädte ziviler und militärischer Art wie Hamburg, Bre-men und Wilhelmshaven bedrohte. In meiner Batterie auf der Insel Wangerooge waren wir elf Reserveoffiziersanwärter, die rasch hintereinander von Lehrgang zu Lehrgang geschickt wurden, um möglichst bald das Offizierspatent zu erhalten und als Führungskräfte eingesetzt werden zu können. So wechselten Einsatzzei-ten auf den Inseln (Wangerooge, Borkum) mit Lehrgangswochen auf den Marine-schulen (Glückstadt), Schießlehrgängen an den Marine-Flakschulen (Moliets et Ma an der französischen Biscayaküste) und bei der Pionierausbildungsabteilung der Wehrmacht in Graudenz. Ich wurde Maat, Oberfeldwebel, Leutnant und schließlich Oberleutnant (MA) und kam im Jahre 1942 zunächst als Batterieoffi-zier zur Marine - Flakabteilung 249, deren Kommandeur Korvettenkapitän (MA) Heuser, ein tadelloser, sympathischer Offizier, war. Die Abteilung wurde zum 9. Marine-Flakregiment nach Gotenhafen verlegt und blieb bis zum Ende des Krie-ges Bestandteil desselben. Hatten sich unsere Marineartillerie-Batterien schon an den Küsten der Nordsee durch zahlreiche Flugzeugabschüsse bewährt, so sollten sie nun ihre Schlagkraft an der Ostseeküste beweisen, wo sich die Luft-angriffe englischer wie auch russischer Bomber immer unangenehmer bemerk-bar machten. Aber auch die Amerikaner flogen in den ostdeutschen Luftraum ein. Zunächst noch Batterie-Offizier, dann auch Batterie-Chef in den an der Küste der Danziger Bucht zum Schutze des Kriegshafens (Gotenhafen) statio-nierten schweren Flak-Batterien, wurde ich 1943 zum Adjutanten des Re-gimentskommandeurs Kapitän zur See Graf Beissel von Gymnich ernannt.
In dieser Position war ich auch bei den drei nachfolgenden Kommandeuren, den Kapitänen zur See Dr. Chappuzeau, Jacobs und Dr. Fenn. In den letzten beiden Jahren führte Kapitän z.S. (MA) Dr. Fenn das Regiment äußerst erfolgreich in der Luftabwehr über dem Raum Danzig-Gotenhafen und in der Bekämpfung der Danzig und dann auch Gotenhafen von allen Seiten vom Land her bedrängenden russischen Verbände. Dies Letztere war eine für die Marine völlig neuartige Situ-ation, war sie doch mit ihren schweren Geschützen nur gegen seeseitige Angriffe ausgerüstet und ausgebildet. Im engen Kontakt mit den "schwimmenden Einhei-ten" der Kriegsmarine, insbesondere dem Panzerschiff "Prinz Eugen", sowie den vorhandenen und noch dazu stoßenden Wehrmachtseinheiten und einem italienischen Nebelträger-Battaillon mit Nebel-Booten gelang es den pausenlosen Angriffen der Russen wochenlang stand zu halten. Ein Einsatz deutscher Luft-waffenmaschinen war meiner Erinnerung nach nicht mehr gegeben, ein größerer Verband von schweren Tiger-Panzern konnte den russischen Einschließungsring Gotenhafens nicht mehr durchbrechen, und unseren Geschützen ging allmäh-lich die Munition aus. Unsere Batterien hatten Verluste, mußten ihre Stellungen aufgeben. Der Regimentsstab mußte geräumt werden und wurde auf die Halbin-sel Hela verlegt. In einer großartigen Nacht- und Nebelaktion gelang es sämtliche Angehörigen der deutschen Verbände von der Oxhöfter Kämpe mit Marine-Prähmen über die Danziger Bucht nach Hela zu überführen, - und das trotz hef-tigen Feuers russischer "Stalin-Orgeln". Entgegen dem unsinnigen Durchhalte-befehl Hitlers "bis zum letzten Mann" übernehmen die höheren Kommandeure, die Admirale Sorge und Burchardi, sowie General Specht die Verantwortung für den Abtransport möglichst vieler Soldaten von Hela auf dem Seeweg nach Ko-penhagen bzw. Kiel mit allen zur Verfügung stehenden Schiffen der Kriegsmari-ne und sonstigen Seefahrzeugen.
Wir sahen Danzig brennen - ein riesiges Flammenmeer -, sahen und hörten Exp-losionen der gesprengten Militäranlagen in Gotenhafen, um diese nicht intakt dem Feind in die Hände fallen zu lassen, sahen aber auch den Schiffsfriedhof in der Danziger Bucht und auf der Reede vor Hela. In dieser Schlußphase des Krie-ges mutete es uns geradezu grotesk an, daß die Partei von höherer Stelle aus Kapitän Fenn aufforderte, noch einen sogenannten "NS-Führungsoffizier" zum Regimentsstab zu nehmen, dem es obliegen sollte, die Soldaten für einen weite-ren Einsatz zu motivieren. Hatte Kapitän Fenn schon ein Jahr zuvor meine Ab-lehnung, die Stelle eines "NS-Führungsoffiziers" beim Regiment zu übernehmen, gut geheißen, so tat er jetzt das einzig Richtige: er warf den Mann, der nicht einmal einen militärischen Dienstrang besaß, hinaus. Die Marine war auch wohl der Truppenteil, der sich auch im "Dritten Reich" ein starkes Maß an konservati-ver Haltung bewahrt und der NSDAP so gut wie gar keine Einflußnahme einge-räumt hatte. So hatten wir auch die Einführung des sogenannten "Deutschen Grußes" (Ausstrecken des Armes) anstelle der alten militärischen Ehrenbezeu-gung durch Anlegen der Hand an die Mütze ungern akzeptiert. Das Attentat vom 20. Juli 1944 hatte auch uns in Gotenhafen überrascht und bestürzt, wobei wir Offiziere über Segen oder Unsegen des Mißlingens des Anschlags durchaus ver-schiedener Ansicht waren, unsere Loyalität gegenüber dem Oberbefehlshaber aber keinen Moment infrage gestellt sehen wollten. Wir fühlten uns nach wie vor an unseren Eid gebunden; die "Vorsehung" hatte Hitler wieder bewahrt; die neu-en Waffen, die den Endsieg bringen würden, waren jederzeit zu erwarten. Wenn ich dabei den am Putsch beteiligten Männern um Graf Stauffenberg eine ehren-hafte Gesinnung nicht abgesprochen habe, so lag das daran, daß ich schon in meiner beruflichen Tätigkeit viel Unerfreuliches habe beobachten können, wenn auch nichts von dem, das später bekannt werden und die Bewegung wie auch Deutschland als Ganzes so belasten sollte. Gerüchten Glauben zu schenken o-der solche gar weiter zu geben, war auch nicht unsere Art.
Ende April 1945 erhielt Kapitän Fenn Befehl, die Verteidigung Kiels gegen die anrückenden Engländer zu organisieren und sich umgehend dazu von Hela ab-zusetzen. Mit einem kleinen Mitarbeiterstab, zu dem auch in und der Artillerieof-fizier gehörten, gingen wir an Bord eines nach Kopenhagen auslaufenden Minen-suchbootes. Bei eingebrochener Dunkelheit liefen wir aus und zwar als Geleit-schutz für den als Truppentransporter eingesetzten Passagierdampfer "Goya". Es war „5 Minuten vor 12“ d.h. vor Mitternacht, als uns zwei heftige Detonationen aufschreckten, und alle Mann auf die Alarmstationen stürzten. Im Scheinwerfer-licht tauchten zwei russische Schnellboote auf, die sofort unter Feuer genommen wurden und darauf gleich abdrehten. Leider lagen sie außerhalb der Schußwei-te. Die Russen hatten zwei Torpedos auf die "Goya" abgefeuert - die beiden De-tonationen -, und das große Schiff sank innerhalb weniger Minuten. Von den etwa 5000 Soldaten und Flüchtlingen aus dem baltischen Raum, die die "Goya" mit in die Tiefe riß, konnten nur an die 25 Menschen gerettet werden. Am Abend des nächsten Tages machten wir in Kopenhagen fest. Nach nur kurzem Aufent-halt fuhren wir mit der Eisenbahn weiter über Flensburg, wo es noch einen Tief-fliegerangriff englischer Maschinen auf den Zug gab, nach Kiel. Die Stadt bot ei-nen erschütternden Anblick, denn ich hatte ja noch das schöne Bild aus meiner Studentenzeit in Erinnerung. Man sah nur Trümmer, und der Hafen lag voller halb gesunkener Schiffe und Schiffstrümmer. Und noch immer gab es Bomben-angriffe. Kapitän Fenn übernahm das Verteidigungskommando im Gefechts-stand Friedrichsort. Admiral Burchardi hatte nach wenigen Tagen dann schon die undankbare Aufgabe, die Stadt an die Engländer zu übergeben. Hitler war tot, Großadmiral Dönitz als Nachfolger konnte noch die Kapitulation in die Wege leiten, und dann war es aus. Alle noch vorhandenen Truppenteile wurden in großflächigen Räumen Schleswig-Holsteins interniert; wir von der Marine ge-langten in Fußmärschen an die Westküste und wurden bei Dithmarscher Bau-ern in den Scheunen, in Schulen u.a. untergebracht. Unsere Soldaten verhielten sich mustergültig in Auftreten und Disziplin, die Bauern zeigten sich als sehr hilfsbereite Menschen. Nun hieß es abwarten bis zum Tag der Entlassung, die für mich am 25.07.1945 erfolgte. Das britische Entlassungskommando verhielt sich korrekt, mir gegenüber sogar betont freundlich. Von Heide in Holstein ging es mit der Bahn, zumeist auf offenem Güterwagen, in langer Fahrt durch die zerstörte Heimat, wobei mir Kassel besonders in Erinnerung geblieben war, bis Augsburg, und dann per Anhalter auf amerikanischen LKW über Weilheim und Bad Tölz und das letzte Stück von Bad Wiessee - wenn ich nicht irre - zu Fuß nach Dorf Kreuth. Ich hatte ja wie alle abgemusterten Soldaten, Offiziere wie Mannschaften, außer einem Tornister keinerlei Gepäck, in dem auch nicht viel enthalten war. Ich kehrte heim wie alle - verbittert und hoffnungslos.
Die Tatsache, daß ich erfreulicher Weise gesund geblieben war, nicht krank und nicht verwundet worden war, - das zählte in diesem Zustand noch nicht. Das kam erst später zu Bewußtsein.
Ich muß hier noch einmal zurückgreifen auf jene in Gotenhafen verbrachten Kriegsjahre 1944 und 1945, da sie für mein persönliches Schicksal noch von ganz anderer Bedeutung waren. Meine Cousine Irmgard Polenz aus Wiesbaden, Tochter von Franz Polenz und Else, geb. Boesenhagen, einer Schwester meiner Mutter, war in dieser Zeit als Führerin des Landjahrlagers Richthof im Kreis Karthaus (Reg. Bez. Danzig-Westpreußen) tätig und hatte nach achtjähriger Be-rufsarbeit in den Reg. Bezirken Wiesbaden, Koblenz und Danzig-Westpreußen aus persönlichen Gründen Ende 1944 ihre Stelle aufgegeben.
Mein damaliger Regimentskommandant Kapitän z. See Jacobs hatte von mir ge-hört, daß Irmgard eine andere berufliche Tätigkeit anstrebte; er bot an, sie nach einer kurzfristigen Ausbildung als Marineführerin in den Regimentsstab kom-mandieren zu lassen, da er dringend eine geeignete und zuverlässige Führungs-kraft für die im 9. Marine-Flak-Regiment eingesetzten Marine-Helferinnen benö-tigte.



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In wenigen Wochen war es soweit: Irmgard hatte einen Kursus an der Ma-rineschule in Flensburg-Mürwick absolviert, war nach Gotenhafen kommandiert und dem Regimentsstab zugeteilt worden. Wir hatten somit ständigen Kontakt miteinander, zumal Irmgard außer ihrer Betreuungsarbeit für die Helferinnen auch eine Einsatzfunktion im Gefechtsstand hatte. Als Sprecherin und Befehls-übermittlerin leistete sie ausgezeichnete Dienste, außerdem war sie ein "guter Geist" im Verkehr mit Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften. Im Winter-halbjahr 1944/45 kamen besonders schwierige seelisch belastende Aufgaben auf sie zu: es galt die vielen in den Danzig-Gotenhafener Raum einströmenden Flüchtlinge zu betreuen und bei dem Problem der Verschiffung in Richtung Wes-ten organisatorische Hilfe zu leisten. Und dann waren verwundete Soldaten zu versorgen, die - mangels Pflegepersonals und Medikamenten - in verzweifelter Situation in den Decks der aus dem baltischen Raum einlaufenden Schiffe lagen oder in Gotenhafen an Bord gebracht wurden. Das Schwerste aber dürfte für sie die Aufnahme und Weitergabe der beim Regiment eingegangenen Meldung von der Katastrophe der "Gustloff" gewesen sein, als diese am 30. Januar 1945 durch ein russisches U-Boot versenkt worden war. Dabei war ein großer Teil der Marine-Helferinnen unseres Regiments ums Leben gekommen. Später hatte Irm-gard noch die traurige Pflicht, die aus dem eiskalten Wasser der Ostsee aufgefischten Leichen, die nach Gotenhafen zurück gebracht worden waren, zu identi-fizieren.
In dieser Zeit hatten Irmgard und ich uns näher kennen und schätzen gelernt, so daß wir uns verlobten und angesichts des uns bevorstehenden ungewissen Schicksals beschlossen, noch in Gotenhafen die Ehe zu schließen. Es gab also eine Kriegstrauung, die durch den noch in der Stadt weilenden Standesbeamten - Gotenhafen war bereits geräumt und lag unter ständigem Beschuß der russi-schen Geschütze und Bombardierung sowjetischer Flugzeuge - im Gefechtsstand vollzogen wurde.
Dies war am 15. März 1945 und ist belegt durch eine Urkunde, die Kapitän z. See (MA) Fenn und Oberleutnant (MA) Lau als Trauzeugen unterzeichnet haben, und auf der auch alle Gäste der kleinen Feier im Gefechtsstand sich eingetragen haben, die Offiziere und Fähnriche des Stabes und die Marine-Oberführerin beim Küstenbefehlshaber Admiral Sorge Wilhelma Reitsch als Irmgards dienstli-che Vorgesetzte. "Helma" Reitsch hatte sogar noch eine kleine Hochzeitsfeier ar-rangiert. Wenige Tage später - am 19. März 1945 - mußte Irmgard mit einer ih-rer Abteilungsführerinnen auf einem Torpedoboot Gotenhafen verlassen - zur Betreuung von 100 Verwundeten an Bord - und kam nach stürmischer Fahrt, zeitweise unter Flugzeugbeschuß und bei U-Boots Alarm, nach Kopenhagen. Von dort nach Kiel abkommandiert, erreichte Irmgard, zusammen mit Frau Reitsch, auf einem Minensuchboot Kiel. Aus dieser Zeit rührt unsere enge Freundschaft mit Helma und ihrem Mann Kurt Reitsch, den ich auch schon in Gotenhafen als Korvettenkapitän kennengelernt hatte. Durch sie haben wir die Bekanntschaft mit Hanna Reitsch, der berühmten Fliegerin, Kurts Schwester machen können. Helma wurde später Patin unseres Sohnes Detlef.
Mit Irmgard, die noch in Gotenhafen zur Marine-Oberführerin ernannt und in Anerkennung ihrer vorbildlichen Leistungen mit dem Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern ausgezeichnet worden war, traf in kurz in Kiel (im Gefechtsstand)/ Anm.von I.Rose) zusammen, bis wir uns endgültig nach getrennter Kriegsgefan-genschaft im elterlichen Haus in Dorf Kreuth wiedersahen. Die Freundschaft mit Kapitän z. See Fenn, unserem Kommandeur - er war auch Ritterkreuzträger - und seiner Frau ist uns nach dem Krieg erhalten geblieben, während die Ver-bindung zu Oberleutnant (MA) Lau leider nach einem einmaligen Wiedersehen abbrach. Die folgende Zeit war auch nicht dazu angetan, Kontakte zu suchen oder zu pflegen. Jeder konnte und mußte sich selbst der Nächste sein.
Zuhause in Kreuth lebte nur noch mein Vater, denn meine Mutter war im Sep-tember des letzten Kriegsjahres gestorben und auf dem Kreuther Bergfriedhof begraben. Im Haus am Riedlerberg war aber auch noch Heinzens Familie - Ger-trud mit den fünf Kindern - einquartiert, die durch einen Bombenangriff auf München ihre Wohnung verloren hatten. Heinz selbst versuchte, sich bei einem Arzt-Kollegen in Würzburg über Wasser zu halten. Da wir zur amerikanischen Besatzungszone gehörten, wo rigoros alles verhaftet und in Internierungslager gebracht wurde, was irgendeiner NS. Organisation angehört hatte, Beamter war, einen Titel trug oder der Sympathie mit der Partei verdächtig war, zudem die Gemeindeämter Meldeblätter mit allen Angaben besaßen, blieb es nicht aus, daß auch wir - Papa, Heinz, Irmgard und ich, aber auch Heinz` Schwiegervater San. Rat Dr. Wilhelm May, in Kreuth abgeholt, unter "Automatischen Arrest" gestellt und in Internierungslager (Garmisch-Partenkirchen, Moosburg, Stephanskir-chen, Ludwigsburg) gebracht wurden. Nur Schwägerin Trudel ließ man bei den fünf kleinen Kindern im Haus in Kreuth.
Wir teilten das Schicksal von vielen Tausenden in den Augen der Amerikanern "belasteter Personen", die auf ihre Überprüfung hinsichtlich begangener politi-scher "Untaten" wie "Kriegsverbrechen", "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", "Unterstützung des Nationalsozialismus", "Mitgliedschaft in einer verbrecheri-schen Organisation" usw. warten mußten. Bei meinem Zwangsaufenthalt in ei-ner der alten Gebirgsjäger-Kasernen in Garmisch-Partenkirchen konnte ich mich über die Behandlung durch die US-Soldaten und die polnischen Bewacher nicht beklagen, sie verhielten sich korrekt und gaben die Möglichkeit zu Arbeitseinsät-zen (Baumfällen, Aufräumungsarbeiten) und zu Freizeitgestaltung. Aber das war nicht in allen Internierungslagern so. Hier ergab sich, daß ich zum ersten und letzten Mal in meinem Leben zu einem Auftreten als Schauspieler engagiert wurde. Der mit mir inhaftierte ehemalige Generalintendant der bayerischen Staatstheater Oskar Walleck (man hatte ihm im "Dritten Reich" einen höheren SS-Titel ehrenhalber verliehen), überredete mich, die Rolle des Masham in der bekannten Komödie "Das Glas Wasser" von Eugène Scribe zu übernehmen. Es war für mich zwar nicht einfach, die lange Rolle des jugendlichen Liebhabers einzustudieren, aber sehr interessant, die Theaterarbeit unter der Regie eines bedeutenden Fachmannes kennen zu lernen. Ich hatte zwei reizende Partnerin-nen, und die Aufführung in der großen Kasernen-Turnhalle vor etwa 2 000 Zu-schauern und der gesamten amerikanischen Lagerbesatzung wurde zu einem großen Erfolg.
Auch Heinz war hier zur gleichen Zeit interniert und Papa im Garmischer Lager-lazarett. Und Irmgard befand sich im Internierungslager Stephanskirchen bzw. später in Ludwigsburg (Württemberg). Für einige Zeit noch nach Moosburg bei Landshut verlegt, wurde ich endlich nach 15-monatiger Internierung am 20.12.1946 nach Kreuth entlassen, wo inzwischen auch die übrigen Familienan-gehörigen wieder eingetroffen waren. Nun waren wir Weihnachten alle zuhause. Aber wie sollte es jetzt weitergehen?
Papa bekam noch keine Pension; weder Heinz noch ich konnten uns beruflich betätigen, wir mußten auf unsere "Entnazifizierung" warten; Arbeitsmöglichkei-ten gab es nicht und, - wir hatten keinen Pfennig Geld. Die Zeit bis zum Entnazi-fizierungsbescheid - Monate - mußten mühsam überbrückt werden: durch Not-verkäufe von Schmuck, Uhren, Bildern, Teppichen, Hausrat an Aufkäufer, die durchs Land zogen, durch Tausch auf dem "schwarzen Markt", durch Gelegen-heitsarbeiten, durch Hilfe befreundeter Gutsbesitzer, die uns wenigstens Kartof-feln überließen (die wir mühsam heimtransportieren mußten). Wir waren 11 Personen nach Detlefs Geburt im Jahre 1947, die in dem elterlichen Haus in Kreuth lebten. Immerhin gab es Holz, das wir mit Genehmigung - zuweilen auch ohne! - des Forstamtes aus dem Wald schlagen, heranschaffen und ofengerecht hacken mußten. Infolge der schwierigen Ernährungslage befanden wir uns alle in schlechter körperlicher Verfassung. Wie groß war unsere Freude als ein erstes "Care-Paket" von Freund Roman Wygnanki und seiner Schwester Ursula aus Chile kam, das uns dringend benötigte Lebensmittel brachte! Um der Not lei-denden Bevölkerung zu helfen, hatten die deutschstämmigen Chilenen gleich nach Bekanntwerden der Situation in der Heimat ein Schiff mit Liebesgaben auslaufen lassen. Es dauerte lange bis es reguläre Zuteilungen gab, die wenigs-tens für das Existenzminimum ausreichten. Schließlich galt es ja nicht nur, die einheimische Bevölkerung zu versorgen, sondern auch die zahllosen herein flu-tenden Flüchtlinge. Auch das Kreuther Tal mußte viele aufnehmen, die aus ihrer Heimat vertrieben waren. Nach mich reichlich erschöpfender freiwilliger Arbeit in einer Rottacher Gärtnerei fand ich durch Zufall nach anderer verschiedenartiger Arbeit einen günstigen "Job" in Tegernsee. Durch Vermittlung eines Bekannten holte mich der bei der Gemeinde mit kulturellen Aufgaben beschäftigte Schrift-steller Walter Schmidtkunz zur Mitarbeit in die Gemeindebücherei gegen (gerin-ges) Entgelt, aber auch mit der Bitte, unter seinem Namen - ich hatte ja noch keine Arbeitserlaubnis als Redakteur - Berichte für die erste im bayerischen O-berland wieder ins Leben gerufene Zeitung, das "Garmisch-Partenkirchner Tag-blatt" über Konzerte, Theateraufführungen, Vorträge u.ä. zu verfassen.
Wieder war es ein Zufall, daß der Chefredakteur dieser neuen Tages-Zeitung mein ehemaliger Vorgänger im Amt des Presse-Referenten im Reichspropagan-daamt München-Oberbayern war, der meine feste Anstellung als Redakteur nach erfolgter "Entnazifizierung" ermöglichte, - eben jeher Dr. Max Werner. Und so kam es auch zu der merkwürdigen Wiederholung meines früheren Lebensab-schnittes: ich konnte wiederum in Zusammenarbeit mit dem Verleger Adalbert Boemmel eine Zeitung für den Bereich des Tegernseer Tales herausbringen, die auch wieder den Titel "Tegernseer Zeitung" trug, und deren erste Nummer vom ......... mit einer originellen Zeichnung des berühmten Olaf Gulbransson aufwar-ten konnte. Bald aber mußte - auch eine Duplizität der Ereignisse - die "Tegern-seer Zeitung" dem Konkurrenzdruck des in München etablierten "Münchner Merkur" (Nachfolger der alten "Münchner Zeitung") nachgeben, sich dem von diesem geschaffenen Konzern Oberbayerischer Heimatzeitungen anschließen. Unsere "Tegernseer Zeitung" war also wieder eine Lokalausgabe, deren Kopfteil in München erarbeitet und gedruckt wurde, während wir in der Tegernseer Re-daktion selbständig alle den lokalen Bereich betreffenden Nachrichten und An-zeigen zu beschaffen, redaktionell zu bearbeiten und nach München zu liefern hatten. Da wir damals natürlich nur auf Post, Bahn und Telefon angewiesen wa-ren, kann man sich vorstellen, wie mühsam es gewesen ist, aktuell zu sein. Hat-te ich auch gute Mitarbeiter gewinnen können, so lag doch das Hauptgewicht der Berichterstattung mit der redaktionellen Bearbeitung bei mir selbst. Die vie-len interessanten Persönlichkeiten, die ich in dieser Zeit kennen lernen konnte und natürlich auch das Leben in meinem schönen Bereich, der auch den Schlierseer und Tölzer Bezirk umfaßte und über das Achensee-Gebiet bis weit nach Tirol ins Inntal führte, entschädigte für das Übermaß an zeitlichem Auf-wand und selbst physischer Leistungsfähigkeit.
Wohnten wir im Jahre 1947 noch unter den kaum ertragbaren engen Verhält-nissen in Kreuth, war auch beruflich schon ein Umzug nach Tegernsee unerläß-lich. Dies obschon im Gegensatz zu früher, als ich einen eigenen Wagen fuhr, doch immerhin es wieder auf ein Motorrad gebracht hatte. Und jetzt kam ja auch unser Sohn Detlef Amadeus zur Welt: im Tegernseer Krankenhaus, am 27. Oktober 1947. Es war gegen 22.30 Uhr, und ich war zu dieser Zeit in einer Thea-teraufführung des "Vogelhändlers", wenig konzentriert, wie man sich denken kann. Leider war es für Detlefs Mutter ein schweres Wochenbett, da sie mit Fie-ber liegen mußte, und Detlef selbst ernsthaft (an einer Nabelinfektion / Anm. I.Rose) erkrankte. Wegen der mangelnden ärztlichen und pflegerischen Betreu-ung durch das Schwesternpersonal mußten Heinz und sein Schwager Dr. Heinz May vorstellig werden, während durch Mithilfe eines Bekannten Detlef bei Nacht aus dem Krankenhaus herausgebracht und in das sehr gut beleumdete Kinder-krankenhaus in Bad Wiessee gebracht wurde. Zur weiteren Behandlung Detlefs wurde dringend Penizillin benötigt, über das das Krankenhaus nicht verfügte. Auf mühsame Weise mußte ich dies selbst von einer Sanitätsdienststelle der US-Armee in München besorgen.
Bis wir eine kleine Behelfswohnung in Tegernsee fanden, wohnten wir zu dritt in einem Zimmer des Kreuther Hauses; später glückte es uns, ein kleines, hübsch in einer Wiese stehendes Häuschen zu mieten und uns dort, so gut es ging, ein-zurichten. Die Lage und das "endlich allein" trösteten uns über die erheblichen Nachteile: hohe Miete, kalt, da nicht unterkellert, mühsame Ofenheizung -hinweg. Ein Dauerzustand konnte auch das nicht sein, aber es war nahezu un-möglich, etwas Besseres zu finden, da das Tegernseer Tal mit Flüchtlingen über-füllt war.
Von 1950 - 1954 lebten wir in Tegernsee; vier Jahre leitete ich die Redaktion der "Tegernseer Zeitung" des "Münchner Merkur". Es war eine Zeit starker Entwick-lung des Tegernseer Tales: Bad Wiessee entfaltete sich zu einem führenden Jod-Schwefel-Bad, Tegernsee selbst feierte seine Erhebung von der Gemeinde zur Stadt, der Fremdenverkehr wuchs von Jahr zu Jahr, die Gondel-Bahn auf den Wallberg wurde gebaut, das Schloß füllte sich als Gymnasium mit neuem Leben, Im Wildbad Kreuth etablierte sich eine Hotel-Fachschule. In Rottach-Egern spielte wieder die bekannte "Thoma-Bühne", das Bad Wiesseer Kurorchester konzertierte mit bedeutenden Solisten, und im Steinmetz-Saal zu Tegernsee gab es sogar eine Aufführung von "Des Teufels General". Carl Zuckmaier, der Autor, der eine Laienspielergruppe ausdrücklich hierfür autorisiert hatte, war selbst mit seiner Frau anwesend und sprach den Darstellern und der Regisseurin Inge Moossen hohe Anerkennung für die Aufführung aus. Beim anschließenden Emp-fang traf ich mit Olaf Gulbransson (Angetan mit der Goethe-Medaille) und Pro-fessor K. A. von Müller , dem bekannten Historiker, zusammen. - Wieviele Schriftsteller, Dichter, Maler, Bildhauer und Musiker (Furtwängler / Anm. I.Rose) konnte man im Tegernseer Tal finden! Sportwettkämpfe, Trachtenfeste und Veranstaltungen anderer Art bereicherten die große Palette des Gebotenen, über das es in der Zeitung zu berichten galt.
Im Verhältnis zu den steigenden Preisen, den immer teurer werdenden Lebens-verhältnissen stand die Arbeitsbelastung und unangemessene Vergütung in kei-nem Vergleich mehr. Da mit einer finanziellen Verbesserung in absehbarer Zeit nicht mehr zu rechnen war, sah ich mich gezwungen, eine Veränderung anzu-streben, denn auch die zusätzliche Arbeit für die "Süddeutsche Zeitung", die "Deutsche Presse-Agentur", den Bayerischen Rundfunk u.a. konnten keine Lö-sung auf Dauer bringen. In dieser Situation konnte ich dank der Vermittlung meines Jenenser Corpsbruders Dr. Albrecht Wodtke, damals Ministerialrat im Bundesministerium des Innern, die Planstelle eines Sachbearbeiters für die Öf-fentlichkeitsarbeit der "Bundesanstalt Technisches Hilfswerk" für den Bereich Bayern mit dem Sitz in München übertragen bekommen.
Ich muß hier einfügen, daß die während des "Dritten Reiches" verbotenen stu-dentischen Korporationen und somit auch die zwangsweise aufgelösten Corps sich rekonstituierten, zumal die ehemaligen Angehörigen ihrer Verpflichtung ge-treu die Verbindung untereinander aufrecht erhalten hatten. Viele meiner jünge-ren Corpsbrüder waren allerdings im Krieg gefallen, darunter die meisten meiner Consemester ...
Ohne die geringste Begabung für technische Dinge und ohne technische Vor-kenntnisse habe ich diesen Schritt gewagt, da ja meine wesentliche Aufgabe dar-in bestand, den Aufbau der neuen Organisation als Nachfolgerin der früheren "Technischen Nothilfe" in Bayern voran zu treiben, Ortsverbände mit freiwilligen Helfern zu gründen, das "Technische Hilfswerk" - das THW - in der Öffentlich-keit, bei Behörden und Bevölkerung, bekannt zu machen. Landesbeauftragter für Bayern war ein früherer leitender Ingenieur der AEG (Allgemeine Elektrizi-täts-Gesellschaft), ein Dipl. Ing. Theo Bretz, zuständig im Bayerischen Staatsmi-nisterium des Innern Min.Dirigent Dr. Helmut Herzog - eine besonders günstige "Konstellation", denn beide Herren waren Corpsstudenten wie ich auch. Die be-rufliche Tätigkeit ließ sich besser an als ich erwartet hatte, wenn ich mich auch erst an das notwendige Auftreten in der Öffentlichkeit mit Ansprachen, Reden und Vorträgen gewöhnen mußte. Ich war ja ein "Mann der Feder" und nicht "des Wortes" ...
Auf meinen zahlreichen Dienstreisen lernte ich sehr bald Land und Leute in Bayern gut kennen. Zu meiner vorwiegend den "Public relations" dienenden Auf-gaben kam bald die persönliche Betreuung der Helfer, der Kontakt zu den ande-ren Hilfsorganisationen (Feuerwehr, Rotes Kreuz, Johanniter, Malteser, Arbeiter-Samariter usw.), dann in zunehmendem Maße die Bearbeitung rechtlicher Ange-legenheiten wie Kauf- und Mietverträge, Unfallversicherungen, Prozesse ziviler und strafrechtlicher Art, die sich aus der Tätigkeit des "Technischen Hilfswerks" ergaben, schließlich Film- und Fernsehaufnahmen, Rundfunkinterviews, Presse-führungen. Für alle Fragen technischer Art standen mir unsere Ingenieure der verschiedenen Fachrichtungen zur Seite, ebenso wie die Spezialisten aus den handwerklich-technischen Berufen, von denen ja viele in den Reihen der Organi-sationen vertreten waren. Wenn auch oft die Wochenenden und Feiertage für Übungen und Ernstfall-Einsätze geopfert werden mußten, machte die Arbeit doch viel Freude, da sie nicht nur in Büroräumen stattfand, sondern draußen und mich mit tüchtigen jungen und älteren Männern in Kontakt brachte, die sich in vorbildlicher Weise der Allgemeinheit zur Verfügung stellten und freiwil-lig, ohne Verdienst, tatkräftig Hilfe leisteten. Und das war oft nicht leicht, wenn es beispielsweise galt, bei Hochwasserkatastrophen, Verkehrsunfällen, Lawinen-abgängen oder einem Flugzeugabsturz (wie bei Ingolstadt) Hilfsmaßnahmen zu treffen. In nachhaltiger Erinnerung steht mir auch noch der Einsatz des "Tech-nischen Hilfswerks" anläßlich der Erdbeben-Katastrophe von Skopje im Jahre 1963, das so entsetzliche Folgen für die Hauptstadt Mazedoniens (Jugoslawien) hatte. Es war der erste Einsatz unserer Organisation in einem kommunistischen Land, das höchst beeindruckt von dem Wirken der bundesdeutschen Hilfsorga-nisation war.
Nach einer Dienstzeit von 18 Jahren ließ ich mich im Jahre 1972 in den Ruhe-stand versetzen, ein Jahr vor der damals noch bestehenden Altersgrenze von 65 Jahren (für Angestellte im öffentlichen Dienst), da eine seit meiner Studentenzeit mich belastende Migräne-Anfälligkeit zu einer nahezu unerträglichen Beein-trächtigung meiner Arbeitsfähigkeit geführt hatte. Ich konnte jedoch mit dem befriedigenden Gefühl ausscheiden, an einer sinnvollen Aufgabe mitgewirkt zu haben.
In München hatte ich bei meiner Übersiedlung von Tegernsee zunächst - was auch schon schwierig war - nur ein Zimmer für mich bei dem bekannten Kunstmaler Professor Bauriedl in der Äußeren Prinzregentenstraße gefunden. Fast ein halbes Jahr mußte ich dann noch warten bis ich eine Wohnung für die Familie in dem wieder aufgebauten Gebäude Georgenstraße 83 (Ecke Tengstra-ße) bekam, also in dem durch die Bombenangriffe auf München besonders schwer betroffenen Schwabing.
Irmgard hatte diese Zeit noch in dem von uns gemieteten Häuschen in Tegern-see-Süd verbracht; Detlef besuchte die erste Volksschulklasse in Rottach-Egern. Nur gelegentlich konnte ich an Wochenenden heraus fahren und dann mit der Familie zusammen sein.
Im Kreuther Haus wohnte nun noch die Familie Heinz allein, nachdem Papa im Jahre 1952 nach längerer Krankheit gestorben war. Mit unserem Vater hatten wir noch sehr schön Detlefs Taufe anno 1947 im Kreuther Haus feiern können, an der auch Detlefs zweite Patin, Frau Else Wenz-Vietor (aus Icking im Isartal / Anm. I.Rose), eine bekannte Kinderbuch-Illustratorin und Blumenmalerin, teil-genommen hatte. Irmgard war ihr seit der gemeinsamen Internierungshaft in Stephanskirchen (und Ludwigsburg / Anm. I.Rose) freundschaftlich verbunden.
In München lebten wir uns bald ein, wenn auch Irmgard lieber "auf dem Land" geblieben wäre. Detlef kam auf die Volksschule, besuchte anschließend das "Alte Realgymnasium" bis er im Jahre 1968 das Abitur machte. In der alten kleinen Kreuzkirche (in Schwabing / Anm. I.Rose) wurde er konfirmiert von Pfarrer Braun. Während ich vollauf meiner beruflichen Tätigkeit, oft auch an den Wo-chenenden, nachging, lastete neben dem Haushalt auch die Erziehung Detlefs allein auf Irmgard. Dank ihrer außerordentlichen technischen Begabung und handwerklichen Fähigkeiten leistete sie bei weitem mehr als üblicher Weise von einer Hausfrau zu erwarten war. Durch ihre umsichtige und sparsame Haus-haltsführung ist es auch allein möglich gewesen, daß es uns bei meinem ver-hältnismäßig bescheidenen Einkommen als höherem Angestellten im Öffentli-chen Dienst doch immer gut ging, daß wir Detlefs Theologie-Studium finanzieren und selbst interessante Reisen machen konnten.
Seit meinem Übertritt in den Ruhestand sind wir in München geblieben, um hier auch die restlichen Jahre unseres Lebensabends zu verbringen. Bemühungen, eine andere Wohnung, mehr am Stadtrand zu beziehen, sind leider erfolglos geblieben, da die hohen Münchner Mietpreise unsere finanziellen Möglichkeiten überstiegen. Auch der nicht umstrittene Erwerb einer Eigentumswohnung im äußeren Bereich kam nicht mehr in Betracht. Die Bebauung des Kreuther Grundstücksanteils schied aus Altersgründen aus, wurde schließlich durch den Baustopp in der Gemeinde Kreuth illusorisch. Wir sind allein geblieben, zumal auch Detlef nach seiner Vikariatszeit im Münchner Norden (an der Evangeli-umskirche), der ersten Pfarrstelle in Kitzingen/Main endgültig in Nürnberg seß-haft geworden war. Feierten wir noch seine Hochzeit mit Gabriele Maier aus Garmisch in der Schloßschenke zu Schleißheim im großen Familien- und Freundeskreis, so waren nach Michaelas Geburt die drei folgenden Enkel schon in Kitzingen bzw. Würzburg und in Nürnberg geboren.
Noch einmal versammelte sich die engere Verwandtschaft anläßlich Irmgards 75. und meinem 80. Geburtstag im Frühling 1988 im hübsch gelegenen Restaurant "Forelle" in Icking im Isartal.
Sind wir auch von ernsteren Erkrankungen nicht verschont geblieben, so kön-nen wir doch dankbar sagen, daß uns - wie die Jugendzeit - auch das Alter noch viel Schönes hat erleben lassen.



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Irmgard Rose geb. Polenz


Irmgard und Hans Rose Im Juli 1986 in Finnland

Irmgard Rose geb. Polenz geb. 21.11.1912 gest. 26.2.1999 / 86 Jahre

  • Geb. am 21.12.1912 in Bouchout, Bezirk Antwerpen, als Tochter des Hauptmanns Franz Polenz und seiner Ehefrau Elsa geb. Boesenhagen.Sie hatte noch 5 Geschwister, von denen noch ein Bruder lebt.
  • Jugend in Wiesbaden.
  • Erlernter Beruf: Kindergärtnerin/Hortnerin
  • 1936 (1935?) - 1944 beruflich tätig in Wiesbaden, Koblenz und zuletzt als Landjahrführerin des Landjahrlagers Richthof im Kreis Karthaus (Reg.Bez. Danzig-Westpreussen)
  • 30.1.1945 Untergang der Gustloff miterlebt: Das Schwerste aber dürfte für sie die Aufnahme und Weitergabe der beim Regiment eingegangenen Meldung von der Katastrophe der "Gustloff" gewesen sein, als diese am 30. Januar 1945 durch ein russisches U-Boot versenkt worden war. Dabei war ein großer Teil der Marine-Helferinnen unseres Regiments ums Leben gekommen. Später hatte Irmgard noch die traurige Pflicht, die aus dem eiskalten Wasser der Ostsee aufgefischten Leichen, die nach Gotenhafen zurück gebracht worden waren, zu identifizieren.
  • Als Marine-Oberführerin am 15.3.45. in Gotenhafen den damaligen Oberleutnant der Marine und späteren Chefredakteur der Tegernseer Zeitung und stellv. THW-Landesleiter Hans-Fritz Rose geheiratet.
  • Ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern
  • Kriegsgefangenschaft
  • Lebensfreundschaften aus schwerer Zeit u.a. mit Kinderbuchillustratorin Else-Wenz-Vietor und Hans Baumann, Prof. Kurt Brüggemann, Helma Reitsch (Schwägerin der berühmten Fliegerin Hanna Reitsch) und vielen Landjahrhelferinnen
  • Internierungslager in Stephanskirchen und Ludwigsburg (Württemberg)
  • Weihnachten 1946 wieder zuhause in Kreuth/Obb. beim Schwiegervater.
  • 1947 Sohn Detlef Amadeus geboren
  • Tegernsee - München
  • Reisen u.a. nach Südafrika 1973, Südwestafrika, Namibia, zwei mal Chile (1971 + ), Südnorwegen und Flandern 1976, Rhodos 1979, Kosika 1980, Münsterland, Westfalen und Dresden 1981, Siebenbürgen 1982, Zermatt 1983, Florida 1984, Paris 1985, Sizilien 1987, Skandinavien, Türkei, Danzig und Ostpreussen.
  • 1981 - 1989 Landjahrtreffen organisiert
  • Großes Polenz´sches Familientreffen 1986 in Wiesbaden
  • Tod des Mannes 3.4.1994
  • 1995 Sturz und Oberschenkelhalsbruch, 1996 nach Reha wieder ohne Krücken zu Fuß - 1997 div. Krankenhausaufenthalte in München, Erding, Erlangen und Ansbach.
  • Oktober 1998 Umzug nach Nürnberg ins Pflegeheim.
  • Liebte Berge, Blumen, Natur



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Hans Fritz Rose mit Eltern und Bruder Heinz


Carl und Claire mit den Söhnen Heinz und Hans Fritz



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Weitere Fotos aus dem Leben von Hans F. Rose



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Kreuth, Riedlerberg


Das Haus in Kreuth mit Brunnen, Terrasse und Garten

Das war der langjährige Wohnsitz der Familien Rose vor und nach dem 2.Weltkrieg.



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Detlef´s Großeltern

Carl und Claire Rose


Carl und Claire Rose



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Carl Franz Rose


Hauptmann Carl Rose

Hauptmann Carl Franz Rose,
geb.9.8.1878 Höchst/Main
gest. als Oberstleutnant 22.6.1952 Kreuth/Obb.



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Ein Helm und seine Geschichte


Im Folgenden das Schreiben eines Militärhistorkers, der außer dem Namen und Helm von Hauptmann Rose nichts weiter kannte:

Betreff: Re: Helm: Fehlender Stern
Datum: Die, 30 Jan 01 01:08:41 +0100
Von: "Gerd M. Schulz"
An: "Detlef A. Rose"

Sehr geehrter Herr Rose,

ihr Herr Großvater war also ein preußischer Artillerieoffizier,

  • er diente 1914 im 2.Westpreußischen Fußartillerie-Regiment Nr.17 in Danzig.



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  • An Kaisers Geburtstag 27.1.1899 war er zum Leutnant befördert worden und durfte endlich an seinem Helm die 4 Sternchen am Tellerbeschlag tragen.




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  • Zunächst tat er im Hohenzollernschen Fußartillerie-Regiment Nr.13 in Ulm Dienst,
  • war aber 1902 an die Artillerie- und Ingenieurschule nach Berlin kommandiert.
  • 1906 hielt er sich im Feuerwerks-Laboratorium in Siegburg auf.




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  • Am 1.10.1913 ist er zusammen mit seinem Regimentskameraden Wolter zum Hauptmann befördert worden und war Chef der 4. Kompanie. Sein Vorgesetzter war Oberst Gravenstein. Stationiert war es in Neufahrwasser, während Wolter in Pillau Dienst tat.

Es ist schon erstaunlich, welche Spuren Menschen doch nach fast 100 Jahren hinterlassen. Da kann man an einem Helm und einem Namen eine ganze Lebensgeschichte aufrollen.
..
Einstweilen verbleibe ich mit greundlichen Grüßen

Gerd M. Schulz, Militärhistoriker
Lena-Christ-Str. 36 82194 Gröbenzell / 08142-7379 Fax 08142-580987

Dokumente im Privatbesiktz von Detlef A. Rose




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